Die Scharnhorststraße bahnt sich ihren Weg vorbei an Wohnhäusern und dem Bundeswirtschaftsministerium. Wenn hier überhaupt jemand aus dem Bus aussteigt, dann, weil er in dieser Gegend wohnt, oder weil er auf dem Weg ins Bundeswehrkrankenhaus ist, das hier über seine eigene Haltestelle verfügt.
Die gräuliche Friedhofsmauer reiht sich beinahe unbemerkt in das Straßenbild ein, und auch wenn die hohen Baumkronen dahinter erahnen lassen, dass hier etwas Grün auf den Besucher der Stadt wartet, zieht der Großteil der Passanten stumm daran vorüber.
Friedhof und Hauptverkehrsradweg
Nur wenige hundert Meter weiter sausen die geschäftigen Berliner auf ihren Rädern über den betonierten Hauptweg des Invalidenfriedhofs. Sie genießen die letzte Idylle vor der turbulenten Innenstadt, in die sie sich gerade begeben, und lassen ihre Blicke über die umliegenden Grabmale und den parallel zum Friedhof verlaufenden Schifffahrtskanal schweifen. Stehen bleiben aber meist nur die geführten Fahrrad-Gruppen, die bei so manchem radelnden Berliner einen gewissen Unmut auslösen, wenn dieser spät dran ist und ihm die Teilnehmer der Tour etwas unbedacht den schmalen Betonweg versperren. Da kommt schon mal ein hektisches Ausweichmanöver vor, das über den grünen Rasen ausgeht.
Aber muss das wirklich sein? Ein kurzer Tritt auf die Bremse oder ein einfaches Klingeln hätte es doch bestimmt auch getan! Überhaupt sollte sich der Berliner an den – in diesem Moment – eher irritierenden Touristen vielleicht einfach einmal ein Beispiel nehmen; absteigen und sich zur Abwechslung einmal wirklich umsehen.
Unverkennbarer Geschichtsschauplatz
Als aller erstes werden einem die beiden schmalen Mauerstreifen auffallen, die sich einmal quer durch die Friedhofsanlage erstrecken. Jeden Tag hat man sie mit seinem schweifenden Blick gesehen. Darüber nachgedacht, dass diese in Wahrheit stumme Zeitzeugen der deutsch-deutschen Teilung sind, hat man allerdings nicht. Und erst wenn man sich diesem Gedanken richtig stellt, wird einem bewusst, wie makaber das Vorhandensein eines Mauerstreifens an eben diesem Ort ist. Denn es ist nicht die Rede von »einer Mauer«, sondern von einem Teil »der Mauer«, die Familien und Freunde voneinander trennte und augenscheinlich nicht einmal Halt vor den Toten selbst machte. Die Vorstellung, dass Gräber weichen mussten, um Platz zu schaffen für Wachtürme, Kontrollstreifen, Lichttrassen und einer Laufanlage für Hunde, ist wahrlich erschütternd. Besonders wenn man bedenkt, welch mitunter unsagbar tapferen Menschen durch diesen Eingriff das Recht auf eine ungestörte Ruhe verwehrt worden ist.
Rückblick bis auf das Jahr 1748
Wer aber denkt, dass dies alles ist, was der Invalidenfriedhof erlebt und erlitten hat, der irrt gewaltig. Denn tatsächlich zählt er mit seinen 266 Jahren zu den ältesten Begräbnisanlagen der Stadt. Ob preußische Militärgeschichte, die deutschen Befreiungskriege von 1813 bis 1815 oder auch die Zeit des Zweiten Weltkrieges – in dessen letzten Jahren der Friedhof sogar zum Kriegsschauplatz wurde – er hat sie alle er- und vor allem überlebt.
Zwar mit erheblichen Einbußen, aber doch mit Würde.
Und heute ist auf ihm wieder Ruhe eingekehrt. Zumindest abseits des betonierten Hauptweges, auf dem man sich zu jeder Zeit vor den zu Beginn des Artikels erwähnten sausenden Berliner Radfahrern in Acht nehmen muss.
Ein gemütlicher Spaziergang ist hier auf jeden Fall angebracht. Denn der Invalidenfriedhof hat wahrlich viel zu erzählen!