Weiße Marmorskulpturen als Kulturvermittler in einer Antikensammlung aufzustellen ist im Grunde wie das Reichen von Ketchup zu Spaghetti. Man kann es machen – aber ist das der richtige Weg? Mit ihrer Sonderausstellung »Transformation. Antike Skulptur in Farbe« stellte sich die Ny Carlsberg Glyptotek* in Kopenhagen dieser Frage mit einer explosiven Farbenpracht und brachte neue Akzente zum Vorschein.
Ein Rückblick mit Einblick:
Dass die Sonderausstellung in der Antikensammlung der Ny Carlsberg Glyptotek zu finden sein würde, hatte ich erwartet. Offen blieben aber bis zuletzt die Fragen zum Ausmaß, der Umsetzung und dem Mehrwert der Ausstellung. Denn viel zu oft überraschen mich groß angekündigte Sonderausstellungen mit einer gefühlt viel zu kleinen Fläche oder sie erscheinen generell oberflächlich. Und auch die Erkenntnis von farbiger Skulptur in der Antike ist mittlerweile keine Neuheit mehr. Aus diesem Grund betrat ich meinen alten Arbeitsplatz durchaus mit Skepsis, aber auch mit der Hoffnung überrascht zu werden.
Ein neues Glyptotekserlebnis
Das Besondere an der Antikensammlung der Ny Carlsberg Glyptotek sind und waren für mich bislang immer die geräumigen und lichtdurchfluteten Säle, die den Besucher von der Archaik über die Klassik und den Hellenismus bis hin zu den Römern führen. Entsprechend gewöhnungsbedürftig empfand ich den durchaus drastischen Einschnitt in einen Teil der Sammlung durch die Sonderausstellung, die insbesondere durch eingelassene, temporäre Wände geprägt war. Für einen nachvollziehbaren roten Faden durch die bunte Welt war diese Maßnahme definitiv nachvollziehbar. Richtig daran gewöhnen, konnte ich mich ehrlich gesagt aber nicht und das aus zweierlei Gründen.
Erstens verlangsamte sich der Besucherfluss erheblich durch die temporären Wände. Die dadurch entstehende Enge ist nicht nur für einen Besuch in der Glyptotek überaus ungewohnt, sondern auch schlichtweg unangenehm, sobald der Besucherdrang ansteigt. Auch der kontrollierte Einlass hat daran – meiner Ansicht nach – nicht viel geändert.
Zweitens veränderten sich durch die temporären Wände die Lichtverhältnisse in den Sälen maßgeblich. Anstelle des für gewöhnlich durchflutenden Lichts wurde eine Vielzahl an kleinen Spotlichtern angewandt, um die einzelnen Exponate zu beleuchten. An dieser Stelle bin ich mir sehr unsicher, ob dies ein Vor- oder ein Nachteil ist. Immerhin spielte letztlich gerade das Licht eine nicht zu unterschätzende Rolle bei dem endgültigen Erscheinungsbild der Skulpturen in der Antike. Auch die Archäologin Amalie Skovmøller erwähnt diesbezüglich in einem der Videos zur Ausstellung, dass das Licht »den letzten Schliff gab«. Es bleibt also die Frage, in welcher Weise unsere heutigen Beleuchtungsmethoden das Farbenspiel auf den Rekonstruktionen beeinträchtigen oder gar verfälschen. Und das bringt uns zu einem weiteren wichtigen Punkt.
Eine absolute Gewissheit gibt es nicht!
Birgitte Bourgeois, Chefkonservatorin am Centre de recherche et de restauration des musées de France in Paris, nennt dieses Problem in einem weiteren Video zur Ausstellung beim Namen und erklärt:
»Es [die Farbforschung bez. antiker Malerei] ist eine sich ständig weiterentwickelnde Theorie. Wir sind keine antiken Maler. Wir müssen also erklären, dass diese Rekonstruktionen auf unserem momentanen Wissensstand basieren und nicht der absoluten Wahrheit entsprechen«.
Besonders frühere Ausstellungen zum Thema Farbe in der Antike sind meines Erachtens nicht ausreichend auf diesen Umstand eingegangen, denn es gab in den meisten Fällen eine Rekonstruktion – mit großem Glück vielleicht auch ein Original daneben. Dass es sich bei den ausgestellten Rekonstruktionen um einen Vorschlag, nicht aber um eine eindeutige Wiedergabe der einstigen Farben handelte, kam bislang jedoch eindeutig zu kurz.
Eine Neue Herangehensweise
Umso schöner also, dass die Kuratoren der Ny Carlsberg Glyptotek sich diesem Problem bei »Transformation. Antike Skulptur in Farbe« vollkommen offen gestellt haben. Von Anfang bis Ende der Ausstellung wurde deutlich, dass es hier nicht einzig und allein darum ging zu zeigen, dass antike Skulptur bemalt worden ist. Viel eher wurde den Besuchern der Ausstellung die Möglichkeit geboten, antike Skulptur zu erleben, sie im Vergleich mit den dazugehörigen farblichen Rekonstruktionen zu sehen und allem voran zu verdeutlichen, dass die Farbforschung viel Potenzial, Spielraum und auch Grenzen hat.
In diesem Zusammenhang fiel mir besonders die Ausstellung des Caligula Porträts auf. Seit vielen Jahren steht dieses besagte Porträt bereits neben einer farblichen Rekonstruktion im römischen Saal der Glyptotek. Zeitweise waren die beiden sogar auf Reisen: Sie waren unter anderem im Alten Museum in Berlin zu sehen. Mittlerweile wieder zurück, standen dem Original und der bereits bekannten Rekonstruktion diesmal allerdings zwei weitere Rekonstruktionen zu Seite, durch die auf einen Blick veranschaulicht wurde, dass es eben nicht die eine Antwort auf die Frage nach dem einstigen Aussehen einer Skulptur gibt. Stattdessen zeigen sie die verschiedensten Variationen in Haut- und Haarfarbe und tragen somit zu einem Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen der modernen Polychromie*-Forschung bei.
Mehr als Farbkleckse
Mindestens ebenso erfreulich war es zu sehen, dass neben dem Herausstellen der Farben auch Metall und andere Steinarten in die Ausstellung integriert wurden. Denn diese spielten neben den Farben selbst eine nicht weniger wichtige Rolle, wenn es um die Farbgebung von Skulpturen in der Antike ging. So zeigte beispielsweise eine Rekonstruktion eines Jünglingskopfes die Verwendung von Blattgold im Haar und Kaiserporträts waren in einen Torso aus farbigem Stein wie Granit eingelassen.
Vorherige Polychromie-Ausstellungen hatten diesen Aspekt bislang eher geringfügig berührt. Mitunter sogar in einer auffallenden Weise, bei der ein Original mit Metalleinlagen neben einer farblichen Kopie ohne Metalleinlagen präsentiert wurde – eine Art auszustellen, die unbeantwortete Fragen beim Museumsbesucher hinterlässt. Und auch mit Hinblick auf die zuvor angesprochene Bedeutung von Licht ist das Ignorieren von Metall bei einer Ausstellung zur Farbe in der Antike nicht wirklich hinnehmbar. Immerhin sind es gerade die polierten Oberflächen der Metalle, durch die sich besondere Lichteffekte erzielen lassen. Zu sehen, dass dieser Aspekt bei dieser Ausstellung seinen eigenen Platz innehatte, war wirklich sehr schön.
Zurück in die weiße Welt
Am Ende der Ausstellung führte der Weg zu einem Punkt, von dem aus sich der Blick über den hellenistischen Saal erstreckte. Im linken Augenwinkel hielt sich noch der letzte Schimmer der farbigen Exponate, während das strahlende Weiß des vorausliegenden Saals einen in die moderne Ausstellungswelt zurückholte. An diesem Punkt zu stehen, während ein Banner mit den Worten »Zurück in die weiße Welt« noch einmal unmissverständlich verdeutlichte, dass man im Begriff war, die bunte Farbenwelt zu verlassen, war etwas ganz besonderes. Es war ein Scheidepunkt zwischen dem Hauch einer alten Welt und jener Inszenierung, in der wir die Skulpturen der Antike heute am liebsten sehen – nämlich ganz in Weiß.
Ob die Vermittlung antiker Kulturen anhand dieser farblosen Exponate möglich oder gar sinnvoll ist, bleibt eine spannende Frage. Diese mehr zu diskutieren als bisher wäre doch schön.